Ach, wie schön war das vor einem halben Jahr im Funkhaus Nalepastraße. Nicht nur uns machte die Tour Spaß, auch euch haben die Aufnahmen von René und meine Texte offensichtlich gefallen. Dafür an dieser Stelle noch ein verspätetes „Danke“! Für die neue Folge von Z² wollten wir uns nicht lumpen lassen und überlegten lange, welcher Ort der richtige sein könnte. René und ich schwangen uns letztlich Ende April auf die Räder, fuhren in Richtung Südwesten und steuerten gen Dreilinden, direkt an die heutige Grenze zwischen Berlin und Brandenburg. Ziel unserer Reise war ein Ort der Deutsch-Deutschen Geschichte: der ehemalige Grenzübergang Dreilinden-Drewitz und die Autobahnbrücke Albrechts Teerofen.
Deutsch-Deutsche Geschichte ist in Berlin fast an jeder Ecke zu spüren. Spätestens, wenn sich Touristenmassen an der Eastside Gallery oder am Checkpoint Charlie treffen, Fotos von Menschen in alten Uniformen machen und sich Devotionalien zulegen, um zuhause von ihrer Berlin-Erfahrung berichten zu können. Es gibt dennoch Orte, die von der Berliner Geschichtsmarketingindustrie gänzlich vergessen wurden. Einer dieser Orte ist das ganze Areal in Dreilinden, rund um den DDR-Kontrollpunkt Drewitz und den West-Berliner Kontrollpunkt Dreilinden. Heute ist kaum noch zu erkennen, dass zwischen den Jahren 1969 und 1989 hier Millionen von Menschen und Autos an diesen Stellen warteten, um von West- über Ost- wieder nach West-Deutschland, in diesem Fall West-Berlin, zu gelangen. Geblieben von dieser Zeit nicht mehr allzu viel.
Doch bevor wir den geschichtsträchtigen Ort überhaupt erreichten, startete unsere Z²-Reise an diesem Tag im wunderbaren Schöneberg und führte uns erst einmal durch die Berliner Stadtteile Tempelhof, Steglitz, Lichterfelde, Teltow und Kleinmachnow. Auf diesem wunderschönen Weg, am Kanal und der Kanalaue Stahnsdorf entlang, fanden wir nicht nur Kirschblüten behangene Bäume, die uns zum Verweilen einluden, sondern auch Auto abbürstende Menschen, eine Drive-In-Bäckerei, automobile Raritäten und einen malerischen Ausblick auf den Machnower See.
Zwischen Hochzeitsgraffiti, Drahtzaun und dem Grenzübergang Dreilinden
Auf Höhe des malerisch am Fluß und an der A115 gelegenen Hotel und Campingplatz Hettler & Lange fanden René und ich dann die erste Location, die förmlich danach lechzte, von uns in Beschlag und durch René in Szene gesetzt zu werden. Nach knapp 2 Stunden Fahrradfahrt fand das mein Hintern auch ganz gut. Nach einigen Lockerungsübungen passte das erste Outfit auch perfekt in das Bild. Exklusiv für das DAAN MAGAZINE lichteten wir eine Zusammenstellung meiner Nürnberger Freunde von ATF Clothing ab, das mit Cuff Pant, lockerem Shirt und Organic Cotton Sweater wie die Faust aufs Auge in diese relaxte Ecke passte – zwischen Hochzeitsgraffiti, dem 1. Berliner Bogenschützen e.V. hinter dem Brückenpfeiler und den staunenden Anglern.
Die Gräser wachsen durch den brüchigen Asphalt von Albrechts Teerofen
Nach dieser kurzen Verschnaufspause fuhren wir weiter und steuerten den Grenzübergang Dreilinden-Drewitz und die in diesem Moment über uns befindliche Autobahnbrücke Albrechts Teerofen an. Wir schlängelten uns durch einige sandige Passagen am Ufer, fuhren dann wieder auf geteertem Untergrund und kamen schließlich auf den Berliner Mauerradweg zurück, direkt zur alten Raststätte. In seinem diesbezüglich ganz hervorragenden Artikel hat Michael Grube alte Aufnahmen des Ausflugslokals und der ehemaligen Autobahnbrücke gefunden. Ab 1969 wurden Reisende in der Gaststätte bewirtet, wenn die Autos Schlange standen, um den Grenzübergang passieren zu dürfen. Auf diesem geschichtsträchtigen Beton zu stehen und zu sehen, wie dies alles vor sich hin modert und zerfällt, machte uns vor Ort nachdenklich. Warum wird dieser Ort, an dem zu Ferienbeginn pro Tag 2.000 bis 2.200 Autos in Richtung Westen und rund 2.400 Autos nach West-Berlin abgefertigt wurden, nur so sich selbst überlassen?
Aus gefühlt jedem Quäntchen Deutsch-Deutscher Geschichte wird in Berlin Kapital geschlagen – nur an dieser Stelle werden Kosten und Mühen eindeutig gescheut.
Vom Lokal nur 3 Minuten zu Fuß entfernt wuchern die Gräser durch den Beton und stehen verwaiste Fahnenmasten. Durch eine sehr schmale Fußgängerbrücke gelangen René und ich dann auf die alte Autobahnbrücke. Zu sehen sind bis heute noch alte Fahrbahnmarkierungen auf dem brüchigen Teer, die noch von der alten Zeit zeugen. Für uns wiederum war es wieder Zeit, die Taschen stehen zu lassen und das nächste Outfit in Szene zu setzen. Bei Sonnenschein schlüpfte ich in mein All Black-Outfit, das zum Wesentlichen aus zwei wunderbaren Teilen der aktuellen Frühjahr/Sommer 2016 Kollektion von ARMEDANGELS besteht. Andre und Torge waren an diesem Tag genau die richtigen Begleiter, um meine Kleiderschrank-Evergreens von K.O.I. – Kings of Indigo, VEJA und meinem neuen Hoodie von To Whom It May Concern in ein neues Licht zu rücken.
Ein Relikt aus 1838 trifft auf Schwiegeromas modisches Schätzchen
Der Tag neigte sich so langsam dem Ende entgegen, das Licht wurde dafür immer besser. Noch gewärmt von der Sonne auf dem Asphalt machten wir uns auf, noch einen weiteren Spot in der Gegend zu erkunden. Nur wenigen Radminuten hinter Albrechts Teerofen stießen wir dann noch auf ein Relikt aus längst vergangener Zeit. Mitten im Wald steht nämlich noch eine Eisenbahnbrücke über die ehemalige A115, die noch im 19. Jahrhundert von der 1838 eingeweihten Berlin-Potsdamer Eisenbahn benutzt wurde. Heute fährt da keine Bahn mehr, auch wenn die besprühten Pfeiler genauso aussehen wie schön gesprayte S-Bahn-Waggons der BVG. Genau dort ließen wir uns nieder, um auch das dritte Outfit unserer Reise im Kasten zu haben.
Im Gepäck hatte ich Shirt und Denim meiner Lieblingsschweden von Nudie sowie ein Schmuckstück aus Schwiegeroma Margots Kleiderschrank, das jeden Hipster aus Neukölln hoffentlich vor Neid erblaßen lässt. Denn bei aller neuen Grünen Mode, die ich vorstelle und empfehle, dürfen wir nicht vergessen, dass das, was bereits in unseren Kleiderschränken schlummert oder Jahrzehnte bereits hält, mindestens genauso wertig und wertvoll für uns sein sollte wie der neue Shice. Passend zu dem Outfit ließ mich René, wohlwissend meiner durchaus vorhandenen Höhenschwummerichkeit, auf der Kante sitzen, um mit den Füßen baumelnd auch meine Sommerschuhe von Faguo Shoes einzufangen.
Wir sind Eins. Damals und heute. Lasst uns das nie vergessen!
Diese Z²-Folge ist fast zu Ende. Doch wir können euch nicht ohne ein weiteres kleines Highlight dieser Tour entlassen, welches wir auf dem Rückweg zur S-Bahn-Station Nikolasee noch erspähend konnten. Direkt an der Autobahn entlang, geschützt von einer Schallschutzmauer, steht er da. Kaum beachtet und kaum ersichtlich. Nur von Eingeweihten noch besucht – oder von den vielen Hundebesitzern, die in dieser geräuscharmen Kulisse mit ihren besten Freunden etwas Auslauf brauchen. Aber er steht da einfach. Vormals Panzer, jetzt ein rosa LKW, der so aussieht, als sei er direkt vom noch nicht fertig gestellten BER geklaut worden, wo er sowieso keine Gepäckstücke aus einem Flugzeug transportieren könnte. Anstelle des Kanonenrohrs eines sowjetischen Panzers also das Laufband gen Himmel! Und so schließen René und ich diese Z²-Folge auf den Spuren Deutsch-Deutscher Geschichte mit einem entschiedenen »FUCK WAR« und dem Appell, uns nicht wie schon des Öfteren in unserer Geschichte entzweien zu lassen.
Allen, die noch mehr über diesen Teil der Deutsch-Deutschen Geschichte erfahren möchten, empfehle ich folgende Artikel:
- Dreilinden in der deutschsprachigen Wikipedia
- von Michael Grube für Geschichtsspuren.de
- „Hollywood in Albrechts Teerofen“ von Christian Van Lessen für den Tagesspiegel
- Weiteres historisches Bildmaterial gibt es bei Wikicommons
Text: Alf-Tobias Zahn
Fotos: René Zieger
4 Kommentare
Kommentieren[…] you want to see more of Alf and René tour, than head over to GROSS∆RTIG and have a look at the complete story about Dreilinden in their current […]
Ein sehr interessanter Beitrag und ich musste mehrmals hoch und runterscrollen, um mir eure Bilder immer wieder anzusehen, die so wahnsinnig stimmungsvoll und doch Gänsehaut auslösend sind.
viele liebe Grüße
Rebecca
Es sieht immer noch aus wie zu meinen Lehrzeiten, ca. 2005. Schon damals habe ich ähnliche Bilder gemacht.
Der Ort hat sich null verändert, und das ist gut so. Es wäre richtig scheiße, wenn man das in eine Touri-Attraktion verwandelt, siehe Teufelsberg.
Aber dafür habt ihr keinen Sinn, schade.
Ich bin noch „Generation West-Berlin“, und mir bedeuten solche Plätze etwas. Im Originalzustand, Wie sie waren, wie sie sind.
Aber wenn ich da von euch schon lese „Neuköllns hippe Straßen“… Als ich das letzte Mal in Neukölln war, war da nichts hip. Na ja, ihr seid halt so Modemenschen und macht aus all dem noch ein Happening.
Da ihr wahrscheinlich auch nie Auto fahrt, wisst ihr auch nicht, dass man von der Autobahn eine sehr gute Sicht auf den Panzer bzw. LKW hat.
Und ihn sehr wohl registriert.
Hi Ginger (dein echter Name?),
danke für deinen Kommentar. Allerdings verstehe ich nicht ganz, wie du auf deine Annahmen und – leider – Vorurteile kommst. Wenn du den Blog und vor allem die Reihe von René und mir kennst, dann solltest du eigentlich bemerkt haben, dass wir nicht wirklich die klassischen „Modemenschen“ sind, die aus allem ein Happening machen. Demnach hier der Wunsch nach einem Experiment: Stell dir vor, wir sind einfach zwei Menschen, die Berlin zeigen wollen. Stell dir vor, ich habe sogar ein Auto. Stell dir vor, ich bin „Generation Zugezogen“ und mir bedeuten (trotzdem) diese Plätze etwas. Und stell dir vior, auch wir fänden es schade, wenn der Teerofen touristifiziert wird wie der Teufelsberg. Was siehst du jetzt?
Freue mich auf den Austausch.
Grüße
Alf