Nur wenige Dinge könne eine so mächtige Industrie wie die Mode nachhaltig ändern: Gesetze auf der politischen Ebene (Stichwort: Lieferkettengesetz), vernünftige Kaufentscheidungen auf der gesellschaftlichen Ebene (Stichwort: Weniger ist mehr) und Innovationen im Bereich der verwendeten Materialien (Stichwort: Besser mit dem umgehen, was wir bereits haben). Bei diesen Innovationen stechen immer wieder kleine Unternehmen mit open minded Gründer*innen heraus, die eine Lösung für ein Problem suchen, das die große Modeindustrie entweder bewusst übersieht oder schlicht nicht auf dem Schirm hat.
Ann Cathrin Schönrock und Franziska Uhl wollen mit ihrem Chiengora-Garn nicht weniger als den globalen Wollmarkt revolutionieren. Sie wollen 500 Tonnen eines hochwertigen Rohstoffes retten, der jedes Jahr ungenutzt im wahrsten Sinne des Wortes vor unseren Nasen herumläuft. Mit den beiden Innovatorinnen habe ich über die Anfänge von Modus Intarsia, Wolle aus feinem Tierhaar und ihr aktuelles Crowdfunding auf Startnext gesprochen.
Ann Cathrin und Franziska, wir kennen uns schon seit einigen Jahren, vor allem digital. Alle drei sind wir in unterschiedlichen Rollen in der Modebranche unterwegs, haben uns ganz analog im wahren Leben auf Messen und Veranstaltungen getroffen. Wann habt ihr euch das erste Mal bewusst länger miteinander ausgetauscht?
Verrückt oder doch ganz normal heute, dass sich zwei Frauen aus zwei Teilen Deutschlands zusammen tun um Chiengora, also Hundewolle, zu produzieren und damit eine übersehende Ressource zu retten?
Es ist so schön, dass wir mal jemanden haben, dem wir nicht erklären müssen, wie wir zwischen Reutlingen und Berlin zusammengefunden haben. Du warst ja halb mit dabei. Die faire Mode-Bubble war vor einigen Jahren noch sehr überschaulich und “man kannte sich” eben.
Ich weiß es noch, als sei es gestern gewesen: Ich saß auf meinem Bett im motel one am Alex, weil ich noch ein paar Tage auf meinen Einzug in die Wohnung warten musste. Ich hielt zwei Garn-Proben in der Hand, die gerade frisch von der Spinnerei kamen. Eine beige, eine in grau. Ich habe Franziska um ein Telefonat gebeten, um nach ihrer professionellen Meinung als Textilingenieurin zu fragen.
Wir sind ein starkes Team, das zusammen wächst
Bis dahin hatte mich nämlich fast jeder für verrückt erklärt. Franziska hat den Gedanken der Ressourcen-Rettung und den Wert dieser Faser sofort verstanden und war begeistert. Seitdem waren wir in regelmäßigem Kontakt und sie hatte die Faser auch bald darauf zum ersten Mal in der Hand. Da ich sowieso auf der Suche nach einer geeigneten Co-Founderin war, hat es einfach wunderbar gepasst und die Möglichkeit stand sofort im Raum.
Als Franziska aus New York von ihrem Praktikum wiederkam, habe ich sie offiziell gefragt und sie in alle Details eingeweiht. Seitdem sind wir ein starkes Team, das immer weiter zusammen wächst.
Auf der Website habt ihr die Geschichte rund um Modus Intarsia aufgeschrieben. Was hat dich, Franziska, am meisten an der Idee von Ann Cathrin, aus Hundehaaren Wolle zu machen, begeistert?
Ich sehe das Thema wohl sehr pragmatisch aus den Blicken einer Ingenieurin. Da ist eine hochwertige tierische Faser, die an unserer Haustüre vorbeiläuft und nicht genutzt wird. Wenn ich Chiengora unter das Mikroskop lege oder verarbeite kommt niemand drauf, dass das Hund sein könnte. Ist ja auch eigentlich egal, woher die Faser stammt, ob Hund, Kaninchen, Ziege oder Schaf. Tierische Fasern sind Alleskönner und reine Wunder der Natur. Würde ein Chemiekonzern heute Wolle erfinden, würde er Milliarden Euro Umsatz damit machen. Das, was uns da die Natur bietet, ist wirklich einzigartig.
Als Ann Cathrin auf mich zu kam, war die Sache relativ klar für mich. Denn die Mischung aus bestehende Systeme zu hinterfragen, ungenutzte Ressourcen zu erschließen und dann auch noch mit einer tierethisch korrekten Faser zu arbeiten war für mich einfach nur logisches Abwägen. Viel Negatives – bis auf den Umstand, dass es davor irgendwie noch niemand so wirklich professionalisiert hatte – gab und gibt es nicht. Zu dem Zeitpunkt war ich darüberhinaus in New York im Praktikum und hab für führende Unternehmen der High End Fashion gearbeitet. Eine Erfahrung, die mir zusätzlich gezeigt hat, dass wir endlich radikal umdenken müssen.
Mit eurer Idee trefft ihr einen Kern der Slow Fashion: Der sinnvolle und nachhaltige Umgang mit vorhandenen Ressourcen. Könnt ihr mir einen Einblick in die Wolle-Industrie geben? Wie groß ist diese z.B. in Deutschland? Vor welchen Herausforderungen stehen Labels, wenn sie mit Wolle arbeiten wollen?
Der Anteil von Wolle am gesamten Fasermarkt betrug 2018 weniger als ein Prozent, was aber dennoch in etwa der Menge von einer Million Tonnen entspricht. Das muss man sich erst einmal vorstellen!
Man muss hier unterscheiden zwischen feinem Tierhaar und Wolle. Wolle ist alles, was vom Schaf kommt. Feines Tierhaar ist der Rest, also Kaschmir, Angora, Alpaka und so weiter. Innerhalb des Wollmarktes ist der Anteil von feinem Tierhaar etwa ein Prozent! Das ist, betrachtet man den globalen Fasermarkt, eine wirklich winzige Nische. Chiengora zählt zu den feinen Tierhaaren, da es hochwertig und vergleichbar mit Kaschmir ist.
Der gesamte Markt fragt feines Tierhaar nach
In den letzten Jahren wurde eine immer stärkere Nachfrage im Bereich der Naturfasern beobachtet, die vor allem einer „nachhaltig orientierten“ Bewusstseinsänderung der Konsument*innen geschuldet sind. Die Nachfrage nach biologisch abbaubaren Fasermaterialien steigt merklich, und da zählen tierische Fasern eben dazu. Der gesamte Markt verlagert sich hierbei in Richtung feines Tierhaar. Das heißt, dass immer mehr Menschen vor allem einen Kaschmir- oder Alpaka-Pulli im Schrank hängen haben wollen.
Hier in Deutschland ist die Wollindustrie winzig. Die Hauptproduktionsländer von Wolle sind Australien, Neuseeland und China, im nachhaltigen Bereich immer mehr Patagonien. Früher war Deutschland sehr stark im Verspinnen von Wolle. Das Know-How ist aber nach Asien und Italien abgewandert, weil der Prozess der Verarbeitung sehr Energie- und Maschinenintensiv ist. Das kann sich in Deutschland kaum noch ein Betrieb leisten. Unser Traum wäre es, diese Industrie zurück zu holen. Das ist aber ohne Subventionen, wie es bspw. die Milchindustrie seit Jahrzehnten bekommt, nicht ökonomisch denkbar.
Die Herausforderung bei Wolle und speziell bei feinem Tierhaar ist super vielseitig und gerade wir setzen uns die höchsten Standards in Sachen:
- Verarbeitung
- Know How
- Sourcing
- Transparenz
Die Wollindustrie hat also nur einen sehr geringen Anteil am globalen Fasermarkt. Warum ist es dennoch wichtig, sich um Verbesserungen zu bemühen?
Auch wenn die Wollindustrie nur einen winzigen Anteil am globalen Fasermarkt ausmacht, ist ihr Flächenverbrauch umso schockierender. Bei der Erzeugung einer Tonne Rohfaser von konventioneller Schafwolle werden alleine 67 Hektar Land verbraucht. Im Vergleich dazu stehen 0,8 Hektar für eine Tonne regenerative Cellulosefasern (Lyocell, Modal oder Viskose). Wie bereits erwähnt: wir wollen eben jede Problematik wirklich an der Wurzel angehen. Aus diesem Grund nutzen wir eine tierische Faser, die schon da ist, weil ihre „Produzent*innen“ – die Hunde – unter uns leben. Für unser Industriegarn mischen wir deswegen das Chiengora mit Tencel Lyocell. So kreieren wir ein Material, das sich anfühlt wie hochwertiges Kaschmir oder Mohair, aber tierethisch korrekt in Europa gesourced wurde und einen signifikant geringeren Landverbrauch hat.
Pro Jahr landen in Deutschland 80 Tonnen hochwertige Unterwolle von Hunden im Hausmüll. Wie kommt ihr ganz konkret an die Unterwolle, die ihr für eure Mode benötigt?
In Europa sind es sogar geschätzt um die 500 Tonnen jährlich. Wir sind immer noch dabei unser einzigartiges Crowdsourcing Netzwerk auszubauen. Das Tolle daran: Es kann wirklich jeder mitmachen der einen Hund hat mit Unterwolle. Jedes bisschen zählt!
Erst nach und nach haben wir selbst bemerkt, dass es sich bei unserem Rohstoff-Sourcing um eine systemische Innovation handelt. Es werden nämlich nicht nur Ressourcen aus der Mitte der Gesellschaft gerettet – Hunde sind bei uns ja fast Familienmitglieder –, sondern auch die Auszahlung wird an tausende Haushalte verteilt bzw. an den Tierschutz gespendet. Wir machen so aus dem Sourcing eine soziale Unternehmung zu machen ohne Ausbeutung der Tiere.
Um die CO2 Bilanz unserer Produkte auch in der Logistik möglichst gering zu halten, haben wir bereits erste Schritte gemacht, wie etwa dezentrale, lokale Sammelstellen einzurichten, um die Menge der Sendungen deutlich reduzieren zu können.
Ihr habt im Mai 2020 ein Gründungsstipendium erhalten und wollt “größer denken”. Wie sieht das konkret aus?
Wow, Mai 2020 kommt mir schon wie zwei Jahre vor. In der Zwischenzeit ist so viel passiert. Uns war es mit der finanziellen Absicherung einfach möglich, uns voll auf unsere Gründung zu konzentrieren. Wir konnten eine Industrie-Garnqualität entwickeln, welche vielseitig einsetzbar ist. Wir haben uns gegen ein Patent für diesen Spinnprozess entschieden, auch wenn es leicht möglich wäre, es vielfach patentieren zu lassen.
„Größer denken“ heißt für uns: Je mehr bisher übersehene Ressourcen wir vor der Mülltonne retten können, desto besser! Denn dann können wir mehr Garn produzieren und eine ernst zu nehmende innereuropäisch beschaffbare und produzierbare Materialalternative für die Textilindustrie werden. Jedes Kilo Garn, das wir verkaufen, kann bspw. importiertes Kaschmir – das auf Kosten von Umwelt und Tierrechten gewonnen wird – ersetzen.
Wolle, die kreislauffähig, tierethisch vertretbar und frei von Mikroplastik ist
Das Netzwerk der „Hunde-Unterwolle-Sammler“ muss wachsen. (Wir wissen: Kein sexy Wort – habt ihr ne Idee für uns..?) Auch das Crowdsourcing-Netzwerk wächst, mit seinen ganz eigenen Herausforderungen.
Wir wollen im kommenden Jahr mehrere Tonnen Hundewolle vor der Mülltonne retten. Das bedeutet aber auch, dass wir es finanzieren können und Abnehmer finden müssen. Also Modeunternehmen, die auch auf der Suche nach einer wirklich authentisch nachhaltigen Garn-Alternative sind – die kreislauffähig, mikroplastikfrei, tierethisch vertretbar, sehr leicht und weich ist.
Wir befinden uns aktuell in mehreren Krisen: Die Klimakatastrophe bahnt sich nahezu ungebremst ihren Weg und wir haben mit einer globalen Pandemie zu kämpfen, die jede*n vor sehr individuelle Herausforderungen stellt. Wie kommt ihr gerade durch diese Zeit?
Wir sind durch das EXIST-Gründungsstipendium gerade in einer wahnsinnig privilegierten Situation, da wir zumindest bis April 2021 finanziell abgesichert sind. Dazu kommt, dass die Pandemie viele Problematiken der textilen Kette aufgezeigt hat, welche wir sowieso angehen wollten.
Ihr habt aktuell ein Crowdfunding auf Startnext gestartet. Für welchen nächsten Schritt sucht ihr jetzt nach Mitstreiter*innen und was können diese von euch erwarten?
Wir wollen zukünftig eine möglichst große Menge dieser wertvollen Ressource vor dem Mülleimer retten. Dafür können wir jede einzelne Stimme gebrauchen. Jeder einzelne Hundehalter eines passenden Hundes mit Unterwolle kann Teil davon werden.
Wir stehen gerade vor der Herausforderung Modeunternehmen zeigen zu können, dass der Endkunde, also ihr, bereit für eine wirklich authentisch nachhaltige Garnalternative seid. Die Nachfrage ist da, dieser POC fehlt uns nur noch.
Diese Ressourcenrettung lebt von der Gemeinschaft
Das Tolle daran ist, dass ein Garn ja erstmal ganz viele Anwendungsmöglichkeiten hat – wie etwa für Wolle. Wir wollen letztendlich nur das Garn verkaufen. Für unsere Crowdfunding Kampagne ist deswegen aber für wirklich Viele etwas dabei.
Man kann unter anderem
- Gutscheine für die Anfertigung von Garn seines eigenen Hundes erwerben (100%ige Garantie!),
- einen Beanie und Schal aus unserem entwickelten Industriegarn kaufen oder auch
- wunderschöne und unterschiedliche Set mit Strickwolle – von Stirnband bis Handschuhe – kaufen.
Es kann auch sonst jede*r gerne auf uns zukommen. Diese Ressourcenrettung lebt von der Gemeinschaft.
Danke euch beiden für das Gespräch!
Das Crowdfunding von Modus Intarsia auf Startnext läuft noch bis zum 31.12.2020 bis 23:59 Uhr. Bis dahin habt ihr noch Zeit, Ann Cathrin und Franziska bei der Umsetzung ihrer innovativen Idee zu unterstützen!
1 Kommentar
KommentierenIch finde die Idee Hunde oder Pferdehaar zu verarbeiten supergut. Ich könnte säckeweise Haare von Isländerpferden beisteuern. Die haben besonders lange Haare, weil sie ganzjährig draußen stehen, und von 36 Pferden fällt viel an, säckeweise, zur Zeit des Fellwechsels im Frühjahr.