Die Poesie als Komplize – Zart auf Weiss von Julia Nohr

Wann hattet ihr zum letzten Mal ein Gedicht zur Hand oder dachtet an ein Stück Poesie zurück, das ihr in der Schule einmal gelernt hattet? Bei mir liegt das schon eine ganze Weile zurück, auch wenn ich tatsächlich Gedichtbände zwischen meinen Büchern stehen habe. Julia Nohr aus Köln wiederum beschäftigt sich jeden Tag mit Poesie. Nicht nur, weil sie selber Gedichte geschrieben hat, sondern auch Gedichte druckt – auf Shirts für ihr kleines feines Label „ZART AUF WEISS„. In unserem Interview sprechen Julia und ich nicht nur über gedruckte Zeilen, sondern auch über Anneke Kim Sarnau und ihren Wohnort Köln.


Liebe Julia, wie kamst du auf die Idee, Poesie auf Shirts zu drucken?

Julia Nohr | Zart auf Weiss | Poesie auf Shirts | GROSS∆RTIGIch schreibe ja schon lange Gedichte und Kurzgeschichten. Später habe ich Drehbuch und Regie studiert – also auch Geschichten geschrieben –, habe für Zeitschriften Künstlerportraits fotografiert und recherchiert und ich texte hin und wieder für Agenturen. Anfang 2000 haben wir mit der Tango Danza mehrere Kalender aufgelegt und verkauft, in denen ich Liebesgedichte mit eigenen Fotografien dieses wunderbar poetischen Tanzes „Tango Argentino“, den ich damals auch tanzte, verbunden habe. Sprache und Bild begleiten mich also seit jeher.

Mitte letzten Jahres bin ich dann erneut auf meine alten Gedichte gestoßen und dachte, dass es eine gute Gegenbewegung sein könnte, zu den üblichen Motto-Shirts, poetische Texte auf nachhaltig produzierte Shirts aus Biobaumwolle zu drucken. Die Trägerin oder der Träger kennen den Sinn, kennen die Stimmung, die mitschwingt, aber für alle anderen ist der Text eigentlich zu lang, um ihn im Vorbeigehen zu erfassen. Es bleibt das Grafische, einzelne Wörter und die Farben. Es bleibt das Wissen um eine Botschaft und vielleicht der Wunsch, sie zu verstehen.

Was war dir dabei am wichtigsten?

Ich wollte ein T-Shirt-Label schaffen, das für „sich Zeit nehmen“ steht, in jeder Hinsicht. Denn Zeit haben wir wohl gerade am wenigsten und sie doch am dringendsten nötig. ZART AUF WEISS ist auch eher ein Kunstprojekt als dass ich jetzt in die Textilindustrie einsteigen wollte.

Welche Gedichte kommen für dich und ZART AUF WEISS in Frage?

Ich habe vorerst jene meiner Gedichte ausgewählt, die sanfter, allgemeingültiger und öffentlichkeitsverträglicher sind. Viele meiner Freunde fanden das überhaupt wahnsinnig mutig, sein Innerstes auf ein Shirt drucken zu lassen. Aber da frage ich mich, ob wir nicht schon wieder in die falsche Richtung denken und fühlen. Warum sollte es intimer sein, seine Gedichte öffentlich zu machen als laut in der Bahn zu telefonieren, als sich (halb)nackt in der Badewanne auf Instagram zu räkeln oder Familienbilder zu posten?

Ein Gedicht ist ein mit Worten gemaltes Bild. Und Bilder tragen wir ja auch auf unserer Kleidung.

Die Rückmeldungen der Frauen (und Männer), die die Shirts kaufen, sind alle sehr positiv. Sehnsucht und Schmerz oder seelische Schwere, Verliebtsein und das Suchen nach Sinn und Spiegelung kennen wir doch alle.

Wie kam es zum Kontakt mit Anneke Kim Sarnau und Bjarne Mäde?

Ich habe Anneke einfach gefragt, weil ich sie als Schauspielerin großartig finde. Sie war für mehrere Lesungen auf der LIT COLOGNE in Köln angekündigt und ich fand, dass der Rahmen sehr gut passte. Also hab ich über ihre Agentur angefragt, ob sie nicht eines der ZART AUF WEISS -Shirts tragen wolle und irgendwann bekam ich eine SMS von Anneke selbst, dass sie dies gerne tun würde. Bjarne Mädel hat mit Anneke und  Jörg Thadeusz eben jene Lesung gehalten und ist spontan mit aufs Foto gekommen. Das fand ich sehr sympathisch!

Dass Anneke sich die Zeit genommen hat, die Gedichte gelesen und sich entschieden hat, eines auf der Bühne zu tragen ist für mich in Zeiten von hoch bezahlten Influencern gar nicht selbstverständlich. Da stand kein großes Label und hat sie dafür bezahlt, sondern sie hat es von Mensch zu Mensch entschieden: „Was Du machst mag ich. Ich unterstütze dich.“

Du lebst in Köln. Ist Köln eine poetische Stadt?

Ja und Nein. Ich liebe Köln. Ich liebe die Poesie, die durch die vielen Kulturen entsteht. Ich liebe den Karneval und das gemeinsame Singen und die Lust am Verkleiden. Beim Veedelslied, irgendwo spontan a Capella, mit lauter eigentlich Fremden Arm in Arm, geht mir das Herz auf. Die lauten und aggressiven Saufereien und die Scherben am nächsten Morgen dagegen nerven.

Poesie ist ebenso Punk und Tatoo und faltig und rauh!

Sommer-Abende auf Kölner Plätzen sind zutiefst poetisch, wenn da jemand Gitarre spielt und so viele unterschiedlichste Menschen wie eine leise murmelnde Meeresbrandung zusammensitzen. Leider kippt es in dem Moment, in dem man nicht mehr achtsam miteinander ist. Dann, wenn Einzelne sich laut auf eine Bühne stellen und rücksichtslos und ohne Feingefühl etwas leben, von dem sie glauben, dass es grade für sie passt. Aber eben nur für sie.

Poesie ist da, wo sich ein Moment zu einer Wahrheit verdichtet, wo die Essenz des Lebens spürbar ist. Poesie ist nicht die 1.000ste Wiederauflage vom Kleinen Prinzen. Meine Idee von Poesie ist nicht Mainstream und nicht süß. Poesie ist ebenso Punk und Tatoo und faltig und rauh… Lediglich Gewalt und Dummheit schließen ihre Anwesenheit aus.

Welchen Ort hast du in Köln am liebsten?

Ich liebe den Herkulesberg. Ich arbeite zur Zeit an einer Video-Installation, die von den wunderbaren Waldwegen auf diesem Schuttberg mitten in der Großstadt erzählt. Wenn ich da mit meinem Hund spazieren gehe, komme ich bei mir an. Jeder Tag ist anders und alle sind schön. Man wird nachsichtiger mit sich und lässt wieder die vielen verschiedenen Schattierungen seiner selbst zu.

Aber ich liebe es auch morgens früh um fünf auf der Aachener Straße zu stehen. Diese Morgenstunde trägt alle Möglichkeiten in sich. Und die, die schon joggen gehen, treffen auf die, die die Nacht durchgefeiert haben. Vogelzwitschern nach lauter Clubmusik. Großartig.


Wer noch mehr über Julia und ZART AUF WEISS erfahren möchte, der sollte einen Blick auf ihre Website samt Online-Shop werfen.

Interview: Alf-Tobias Zahn
Fotos: Julia Nohr

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Ein sehr einfühlsam geführtes Interview. Auch über Kunst zum Anziehen/Tragen, gerahmte Poesie. Poesie als Statement. Eine wunderschöne Idee. Viel Erfolg für die sensible Künstlerin.

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