Let’s talk (and read) about Greenwashing! Interview mit Tanita und Lavinia von The Crisps

Manchmal habe ich mit meinen Interviewanfragen und -partner*innen Glück. Erst letzte Woche wurde das Gesetz gegen Greenwashing vom EU-Parlament verabschiedet. Kurz zusammengefasst: Begriffe wie „klimaneutral“ oder „biologisch abbaubar“, die in der Werbung gerne verwendet werden, dürfen in der EU ab 2026 nicht mehr ohne Nachweis auf Produkte gedruckt werden. Das ist auf der einen Seite gut, auf der anderen Seite auch reichlich spät. Denn das Thema „Greenwashing“ existiert schon lange, ist ein Problem und wurde von der Politik über Jahre und Jahrezehnte vernachlässigt. Umso besser, dass sich seit nunmehr 10 Monaten Tanita Hecking und Lavinia Muth mit The Crisps um das Thema kümmern – und sie Zeit hatten, mit mir darüber zu sprechen.


Seit März 2023 gibt es The Crisps. Warum hattet ihr das Bedürfnis, einen wöchentlichen Anti-Greenwashing-Newsletter zu veröffentlichen?

Tanita: Wir waren beide lange schockiert über die wilden Nachhaltigkeitsaussagen von Modeunternehmen. Und auch etwas genervt. Auf der anderen Seite haben wir bei Workshops gemerkt, wie verunsichert Mitarbeitende aufgrund der kommenden EU Green Claims Directive sind und wollten dafür eine Lösung finden. Denn besonders kleine und mittelständische Unternehmen fürchteten, dass sie in Zukunft gar nicht mehr über ihre Nachhaltigkeitsinitiativen sprechen können. Das ist natürlich nicht der Fall und diese Unsicherheit wollten wir ihnen nehmen. 

Lavinia: Aber mit The Crisps gehen wir noch einen Schritt weiter. Wir verbessern auf der einen Seite den Wissenstransfer zwischen CSR- und Marketing/Kommunikation-Teams und klären auf der anderen Seite über die Vielschichtigkeit der Probleme auf, die ja häufig systemisch bedingt sind. Dabei gehen wir auf Mythen genauso ein wie auf gängige Greenwashing-Fallen, haben aber immer auch die sozialen Aspekte im Hinterkopf. Denn wenn wir von Nachhaltigkeit in der Branche sprechen, müssen wir nicht nur auf die Treibhausgasemissionen schauen, sondern auch auf die Auswirkungen für Menschen und Tiere. Und jegliche miteinander verbundenen Auswirkungen auf die Gesellschaft, Soziales, die Politik und mehr. 

Tanita: Wir haben uns für ein Newsletter-Format entschieden, weil wir unsere Leserinnen und Leser dadurch gezielter erreichen können und sie so langfristig auf die Inhalte zugreifen können. Wir publizieren zum Beispiel auch Checklisten, wann immer es passt.

Um welche Mythen dreht es sich häufig?

Tanita: In unseren Newsletter-Ausgaben entlarven wir etwa Mythen wie „Mit dem Kauf von bestimmten Kleidungsstücken kann man etwas Gutes tun“. Das stimmt so natürlich nicht, denn die Realität ist komplexer, da nachhaltige Auswirkungen von verschiedenen Faktoren wie Produktionsprozessen, Lieferketten und Unternehmenspraktiken abhängen. Leider kursieren auch immer noch viele falsche Informationen über Materialien wie zum Beispiel dass Baumwolle „besonders durstig“ ist. Mythen rund um Baumwolle fanden unsere Leserinnen und Leser besonders spannend, das war die beliebteste Ausgabe von The Crisps letztes Jahr. Neben ökologischen Mythen gehen wir aber auch auf soziale ein, zum Beispiel das „faire“ Kleidung nicht automatisch bedeutet, dass Textilarbeiterinnen und -arbeiter existenzsichernde Löhne bekommen haben. 

In der Berichterstattung etablierter Medien fällt das Wort Greenwashing in ganz unterschiedlichen Kontexten. Auch im Blog haben wir das Thema immer wieder aufgegriffen. Wie definiert ihr diesen Begriff? Warum ist es überhaupt wichtig, Anti-Greenwashing zu betreiben? 

Lavinia: Klassisch gesehen ist Greenwashing für uns ein Begriff, um falsche oder irreführende Aussagen über Umweltleistungen oder -auswirkungen zu beschreiben. Das schließt Unternehmen, Initiativen, Programme, Produkte und Dienstleistungen ein. Ein Unternehmen betreibt also zum Beispiel Greenwashing, wenn es ein Produkt als besonders umweltverträglich vermarktet, diese Info jedoch falsch, vereinfacht oder irreführend ist. Auch beim Verständnis der Begrifflichkeit gehen wir einen Schritt weiter, da Umweltauswirkungen interdependent und intersektional sind, greifen wir in unserer Arbeit auch Aussagen im Bereich Ethik, Soziales Engagement, Diversität, kulturelle Aneignung, etc. auf und versuchen zu helfen Klarheit zu schaffen. Anti-Greenwashing ist genau das Gegenteil: Aufrichtig, verständlich und ehrlich über Umwelt- und ethische Aspekte von Unternehmen, Initiativen, Programmen, Produkten und Dienstleistungen kommunizieren. 

Lavinia Muth © Anna Maria Langer Fotografie

Tanita: Das ist aus vielerlei Gründen wichtig. Unternehmen riskieren mit Greenwashing zum Beispiel einen Imageschaden, denn Versprechen werden heute viel häufiger unter die Lupe genommen und öffentlich diskutiert. Außerdem wird Greenwashing dank der EU Green Claims Directive künftig wahrscheinlich auch finanzielle Risiken mit sich bringen. Endlich! Zudem ist das Anlügen und Irreführen von Konsumentinnen und Konsumenten natürlich auch moralisch verwerflich. Deshalb sollten Unternehmen ihre Kommunikation und Werbung detailliert auf Corporate Lies und Greenwashing überprüfen. 

Aus der Sicht von der Zivilgesellschaft und Konsumentinnen und Konsumenten ist es extrem frustrierend, wenn man sich nicht auf die Aussagen von Unternehmen verlassen kann und immer wieder auf irreführende Werbung hereinfällt. Nicht jede Person hat die Kapazitäten, sich detailliert mit Nachhaltigkeit und den systemischen Problemen auseinanderzusetzen. Sie sind deshalb auf verlässliche Informationen angewiesen und haben ein Recht darauf, nicht vorsätzlich in die Irre geführt zu werden.

Tanita Hecking © Sophie Feist

Welche Möglichkeiten haben Konsumentinnen und Konsumenten aktuell, sich gegen Greenwashing zu wehren?

Lavinia: Sie können aktiv gegen Greenwashing vorgehen, indem sie Petitionen unterschreiben, Bürgerinitiativen unterstützen und politischen Druck ausüben. Was viele vergessen, ist auch, dass sie eine Beschwerde über Unternehmen, Produkte und Dienstleistungen bei der Verbraucherzentrale einreichen können. Außerdem einfach mal kritisch bei Unternehmen nachfragen und offensichtliches Greenwashing öffentlich diskutieren (am besten über LinkedIn, Instagram, Tiktok etc.). Wer tief in das Thema (Anti-) Greenwashing und Nachhaltigkeit in der Modebranche einsteigen will, kann natürlich auch unseren Newsletter abonnieren. 

The Crisps ist vielschichtig. Wie geht ihr in der redaktionellen Arbeit für den Newsletter vor, zum Beispiel zum aktuellen europäische Green New Deal?

Tanita: Bei unserer Arbeit ergänzen wir uns sehr gut und bringen jahrelange Erfahrung aus unterschiedlichen Bereichen zusammen. In jeder Ausgabe fokussieren wir uns auf unterschiedliche Themen wie zum Beispiel Baumwolle, Regenerative Mode, koloniale Narrative, Life Cycle Assessments und gesetzliche Grundlagen, über die unsere Leserinnen und Leser Bescheid wissen sollten. Wir versuchen dabei den Fokus jedoch nicht nur auf Europa zu legen, denn Wandel passiert und sollte nicht nur in einem Teil der Welt passieren. 

Wen wollt ihr mit eurem Angebot positiv beeinflussen?

Tanita: Wir wollen den Wissenstransfer zwischen CSR-Teams und Marketing-/ Kommunikationsteams ankurbeln. Damit die Verantwortlichen wissen, was sie kommunizieren können und worauf sie achten müssen, um kein Greenwashing zu betreiben. 

2023 war kein einfaches Jahr für faire und nachhaltige Mode. Auch weltweit reihte sich eine Krise an die nächste. 2024 scheint in einem ähnlichen Tempo genau dort weiterzumachen, betrachtet man nur die ersten beiden Wochen dieses Jahres. Wie geht ihr mit dieser Ausgangslage um?

Lavinia: 2023 hat nochmals gezeigt, wie tief systemisch die Herausforderungen sind. Wir glauben, dass die nächsten Jahre noch so weitergehen. Genau vor diesem Hintergrund ist es so, so, so wichtig, die falschen Versprechungen aufzudecken, die Probleme besser zu verstehen und gemeinsam an systemischen Lösungen zu arbeiten. Wir machen provokativ weiter.

Danke für das Gespräch.


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