Greenwashing in der Mode: Fünf Onlinestores im Check

Plötzlich ist das Thema Nachhaltigkeit auch in der konventionellen Textilindustrie in aller Munde. Viele sprechen vom „Fridays for Future“-Effekt. h&m Chef Karl-Johann Persson macht sich sogar schon Sorgen, dass die Jugend weniger shoppen könnte und dies dramatische gesellschaftliche Folgen habe. Dramatische wirtschaftliche Folgen könnte das hingegen wohl eher für Unternehmen haben, deren Geschäftsmodell auf Masse statt Klasse sowie ständig neuen, schnell wechselnden Trends beruht. Aber soweit ist es wohl (leider) noch lange nicht.

Auch Onlineplatformen wie Zalando und ASOS sowie Multilabelhändler wie Kauf dich Glücklich greifen das Thema auf und haben Nachhaltigkeit zu Kategorien und Filtern in ihren Produktkatalogen gemacht. Das könnte eine gute Hilfe für Konsument*innen sein, um in der Masse nicht-nachhaltiger Angebote die wenigen freundlicheren Produkte zu erkennen. Das Problem ist nur, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“ nicht geschützt ist und es für die Anbieter attraktiv ist, ihn so niedrigschwellig und unscharf wie möglich zu definieren, um einem möglichst großen Teil ihres Sortiments ein grünes Fähnchen anzustecken.

Wie kann „Nachhaltigkeit“ eigentlich definiert werden?

Eine Reihe von Pionierläden der neuen Generation nachhaltiger Mode haben sich bereits vor rund 10 Jahren Gedanken um eine Definition nachhaltiger Mode gemacht, um einer Aushöhlung des Begriffs und Greenwashing entgegen zu wirken. Die nachhaltigen Stores haben sich darauf verständigt, dass „nachhaltig“ bei Mode immer fair und ökologisch zusammen bedeuten sollte, weil das Eine eng mit dem Anderen zusammenhängt. Ganz platt gesagt kann ein T-Shirt, das fair genäht worden ist, schlecht als faires T-Shirt gelten, wenn die Feldarbeiter*innen beim konventionellen Anbau der Baumwolle mit lebensbedrohlichen Pestiziden belastet und ausgebeutet werden.

Nachhaltige Mode sollte daher in dieser Definition immer aus einem nachhaltigen Material (Bio-Anbau, recycelt oder eine nachhaltige Regeneratfaser wie Tencel/Lyocell) bestehen und unter Einhaltung von fairen Arbeitsstandards genäht/produziert worden sein. Möglichst sollte auch die Färbung und sonstige Behandlung der Materialien umweltfreundlich und ohne Belastung der Ökosysteme und Trinkwasserquellen in der Herstellerländern erfolgen. Bei einigen Materialien mangelt es hier jedoch nach wie vor an passenden Zertifikaten am Markt. Auch heute arbeiten die meisten auf nachhaltige Mode spezialisierten Läden mit diesem doppelten Mindestanspruch. Zudem verkaufen sie in der Regel nur Produkte von Marken für die nachhaltiges Handeln ebenfalls eine Selbstverständlichkeit ist und nicht nur das Thema von ein paar Produkten einer kleinen Feigenblattkollektion.

Bei den konventionellen Modehändlern setzt sich hingegen nun ein Ansatz durch, bei dem es reicht, dass ein Produkt in einem einzigen Kriterium besser abschneidet als gewöhnlich. Da genügt schon die anteilige Verwendung von Bio-Baumwolle oder recyceltem Polyester, oder eben auch eine faire Entlohnung von Näherinnen bei ausschließlicher Verwendung besonders umweltschädlicher Materialien.

Der Nachhaltigkeits-Check – 5 Stores unter der Lupe

Foto: Claudio Schwarz on Unsplash

Zalando

Bei Zalando genügt für die Nachhaltigkeitskategorie die Verwendung von 50 Produzent nachhaltigeren Materialien, bzw. reichen beim Einsatz von recyceltem Polyester sogar 20 Prozent. Was zunächst willkürlich erscheint liegt vermutlich darin begründet, dass Recycling-Polyester gerne in geringen Anteilen konventioneller Baumwolle beigemischt wird und so bekommt man dann besonders billig ein „nachhaltiges“ Material. Auch die Einsparung von Wasser beim Färben, die teilweise schlicht zur Kostenreduktion erfolgt, führt zum Nachhaltigkeitsfähnchen. Ebenso die Verwendung von Baumwolle aus dem nicht-biologischen, nicht-fairen Anbauprogramm der Better Cotton Initiative (BCI), das z. B. auch von h&m, Zara und IKEA ab 2020 für nahezu alle Baumwollprodukte eingesetzt wird, da es gut klingt und nahezu keine Mehrkosten verursacht. Ebenfalls ausreichend ist es, eine ansonsten komplett unfair und umweltschädlich produzierte Jacke mit recycelten Daunen zu füllen. Entsprechend sind von Pull & Bear und Monki über The North Face bis Tommy Hilfigger und Hugo Boss eine illustre Bandbreite an Brands in der Nachhaltigkeitskategorie versammelt, die man gewöhnlich eher mit dem Gegenteil assoziieren würde. Warum ein einzelner Artikel als nachhaltig gilt, wird nicht immer klar, weil das entsprechende Feld erstaunlich oft nicht ausgefüllt ist.

Foto: Clem Onojeghuo on Unsplash

ASOS

Der Ansatz ist hier wohl sehr ähnlich wie bei Zalando, nur mit deutlich weniger differenzierter Information. Was genau über Bio-Anbau und recyceltem Material hinaus als nachhaltig gilt, wird nicht weiter erklärt. Das ist aber nicht unbedingt schlechter, als Materialien differenziert für nachhaltig zu erklären, die es eigentlich nicht sind. Bei den über 3.000 von ASOS in die Nachhaltigkeitskategorie gesteckten Artikeln lässt sich oft nicht erkennen, warum sie da nun drin sind. So zum Beispiel die schwarze Mom-Jeans von Bershka für 19,99 EUR, die laut Beschreibung schlicht aus 100 Prozent konventioneller Baumwolle besteht. Diverse Artikel von ASOS Eigenmarken sind in der Kategorie, weil sie Baumwolle der Better Cotton Initiative (BCI) enthalten, wobei enthalten hier eigentlich die falsche Formulierung ist. Bei dem eh schon anspruchsarmen Programm wird die Baumwolle nicht getrackt und der Hersteller muss lediglich ein theoretisches Volumen an Better Cotton kaufen, weiß aber nachher selbst nicht, ob und wieviel davon welchen Kleidungsstücken landet.

ABOUT YOU – Greenwashing Online-Shops - Foto: Harry Cunningham on Unsplash
Foto: Alexandra Gorn on Unsplash

ABOUT YOU

Bei der Tochter des Otto-Versands ABOUT YOU gibt es zwar genauso viele angeblich nachhaltige Artikel wie bei ASOS, aber dafür noch weniger Information, was das nun eigentlich bedeuten soll. Auch hier machen nach meinen Stichproben die (anteilige) Verwendung von Baumwolle der Better Cotton Initiative (BCI) oder recyceltem Polyester den Löwenanteil aus. Bei den Eigenmarken ist es häufig Cotton Made in Africa (CmiA), ebenfalls ein Baumwollprogramm, das weder auf fairen Handel noch auf biologischen Anbau abzielt und von großen Modekonzernen als günstigere Alternative genutzt wird. Manchmal wird auch nur ein Eigensiegel „Nachhaltig Zertifiziert“ eingeblendet.

Der Verantwortung eines seriösen und stringenten Umgangs mit diesem Thema werden alle 3 Onlineriesen nicht mal im Ansatz gerecht. Selbst wenn die Kriterien schwach sind, könnten sie ja wenigsten explizit erläutert (macht nur Zalando) und den jeweiligen Produkten (macht keiner) zugeordnet werden.

Doch längst nicht nur große Plattformen springen auf den grünen Modezug auf. Die erfolgreiche Multilabel-Store Kette Kauf dich Glücklich aus Berlin ist für eine modisch starke Auswahl bekannt, hat aber sehr lange so konsequent wie wenige Händler im mittleren und gehobenen Preissegment nachhaltige Labels gemieden. Nun gibt es einen Sustainable Shop für Damen und einen für Herren und was ist drin?

Foto: Alexandra Gorn on Unsplash

Kauf dich Glücklich

So wirklich erklärt wird bei Kauf dich Glücklich (KdG) nicht, warum etwas in der Nachhaltigkeitskategorie landet. In jedem Fall genügt auch hier die anteilige Verwendung nachhaltigerer Materialien. So z. B. beim Sweater von adidas, der zu 70 Prozent aus konventioneller Baumwolle besteht, aber 30 Prozent recyceltes Polyester beigemischt hat. Erstaunlich selten taucht die Eigenmarke „Glücklich“ in der Nachhaltigkeitskategorie auf. Dabei wäre es hier ja am Einfachsten, etwas anders zu machen. In den Sustainable Shops werden dann auch noch Artikel untergemischt, die das Label „Premium Qualität“ im Sinne guter Haltbarkeit oder „Natürlich“ tragen, was für Kosmetik mit natürlichen Inhaltsstoffen steht, nicht zu verwechseln mit echter zertifiziert Naturkosmetik. Dazwischen finden sich – wie übrigens auch auf allen oben angeführten Plattformen – durchaus auch Labels und Produkte mit einem ernsthaften höheren Nachhaltigkeitsanspruch. Das ist eigentlich schön, aber macht es für Konsument*innen außerhalb eines sehr kleinen Expert*innenkreises umso schwerer, glaubwürdige Angebote von Greenwashing zu unterscheiden.


Foto: Bart Jaillet on Unsplash

Nach diesen vier konventionellen Anbietern habe ich mir auch die größte Plattform für nachhaltige Mode, den Avocadostore, näher angesehen. Der Avocadostore ist gegenüber Zalando & Co. die bessere Online-Shopping Alternative für Mode, hat aber auch bei der Einordnung, welches Produkt wirklich nachhaltig ist, seine Schwierigkeiten.

Avocadostore

Der Avocadostore bewirbt sich selbst als die Plattform für faire Mode, nachhaltige Produkte und grüne Alternativen. Im Avocadostore reicht es jedoch – wie bei den beschriebenen konventionellen Händlern – wenn ein Produkt ein einziges Kriterium erfüllt. Bei meinen Stichproben waren immer gleich mehrere Kriterien angeführt, aber nicht immer passten die sinnvoll zum Produkt oder erschienen wirklich gewährleistet.

Ein Kriterium ist dabei auch, dass ein Produkt vegan ist – egal, ob dieses Produkt üblicher Weise überhaupt unter Nutzung von tierischen Materialien hergestellt würde und egal, wie umweltschädlich die Ersatzmaterialien sind.

Ein weiteres problematisches Kriterium ist „Haltbar“. Nicht selten sind gerade solche Produkte besonders haltbar, die besonders wenig kreislauffähig sind. Über Giftigkeit sagt „Haltbar“ ebenso wenig aus. Ungünstig ist zudem, dass „Fair & Sozial“ zwar ein Kriterium ist, dieses aber nicht weiter ausformuliert wird.

Foto: Matt & Nat

Veganer Rücksack im Test

Nehmen wir als Beispiel einen veganen Rucksack in Lederoptik von Matt & Nat. Hauptmaterial ist hier PVC, der vielleicht giftigste Kunststoff, der hierfür legal eingesetzt werden kann. Trotzdem wird das Kriterium „Recycelt & Recycelbar“ erfüllt, da das Innenfutter aus recyceltem Polyester besteht, selbst wenn es nur einen sehr geringen Anteil am Produkt hat. Der Rucksack ist darüber hinaus angeblich „Fair & Sozial“, weil der Hersteller nur mit kleinen und von ihm selbst kontrollierten Betrieben in China zusammenarbeite. China ist hinsichtlich Arbeitsbedingungen ein Hochrisiko-Land und Menschenrechtsorganisationen würden hier Selbstkontrollen niemals für ausreichend halten. Das weiß auch Matt & Nat und schreibt daher, dass einer ihrer Zulieferer SA8000 zertifiziert sei und es hoffentlich in der Zukunft mehr würden. Mehr werden es aber bereits seit vielen Jahren nicht. Wirklich erfüllt ist hier somit also nur vegan – und die Optik eines Lederrucksack ließe sich wesentlich umweltschonender herstellen, als durch den Einsatz von PVC.

Im Gegensatz zu den Anfangsjahren findet man zumindest im Modebereich im Avocadostore inzwischen nur selten wirklich nicht-nachhaltige Produkte. Als durchgängig fair produziert würde ich das Angebot jedoch nicht bezeichnen. Hierfür gibt es keine ausreichenden Kriterien – gerade auch hinsichtlich der unabhängigen Kontrolle von Produzent*innen in Hochrisikoländern. Ehrlich gesagt würde ich aber genau solche Kriterien von einem auf nachhaltig und fair spezialisierten Marktplatz erwarten.

Foto: Stock Photography on Unsplash

FAZIT:

Die großen Modekonzerne höhlen den Begriff der Nachhaltigkeit immer weiter aus. Sie versuchen so, auch diesen Nischenmarkt zu besetzen. Ein Mittel dagegen könnte sein, dass die nachhaltigen Fachhändler und Labels ein gemeinsames, soziale und ökologische Aspekte vereinendes Verständnis von nachhaltiger Mode verbreiten. Noch besser wäre es, wenn dieses Begriffsverständnis einen staatlichen Schutz erfahren würde, wie es bei Bio-Lebensmitteln bereits der Fall ist.


Zum Autor:
Lars Wittenbrink forschte zu Nachhaltigkeit in der Outdoorbranche, ist Mitbegründer von gruene wiese – einem großen nachhaltigen Concept-Store mit angebundenem Onlineshop in Münster – und schrieb viele Jahre für das Grüne Mode Blog von Greenpeace Detox-Aktivistin Kirsten Brodde.


Copyright (Intro): Charles Etoroma on Unsplash

6 Kommentare

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Hier schreibt Mimi Sewalski, Geschäftsführerin von Avocadostore. Ich war schon etwas überrascht, uns in einer Liste mit Unternehmen wie Asos, Zalando und Aboutyou zu sehen. Auch Kauf dich glücklich passt aus meiner Sicht nicht in diese Aufzählung, weil es ganz unterschiedliche Unternehmensgrößen und Typen sind. Die Headline „Greenwashing“ hat dann aber bei mir mehr als Stirnrunzeln verursacht und das ist der Grund, warum ich hier öffentlich sichtbar kommentieren möchte. Avocadostore gibt es seit 10 Jahren, die Gründungsidee war es, nachhaltigen und kleinen Brands (und damals waren das ALLE nachhaltigen Marken, außer die Ökopioniere wie Maas Natur oder Hess Natur, die aber dafür eher die ältere Zielgruppe angesprochen haben) eine Plattform (Marktplatz) zu geben, wo sie einfach und unkompliziert online verkaufen können. Warum? Weil der Konsument entweder nicht wusste, dass es Eco Brands gibt, weil er dachte sie sind uncool oder teuer oder weil er schlicht nicht wusste, wo er sie bekommt. Hier sind wir beim zweiten Gedanken unserer Idee: Eine Adresse für den Konsumenten, wo er alles findet, was es an nachhaltigen Alternativen zu herkömmlichen Produkten gibt. Unser Problem damals: Nachhaltigkeit ist nicht ein Begriff, der sich in „ja“ oder „nein“ oder „schwarz“ oder „weiß“ fassen lässt. Nur Siegel oder Materialien können nicht immer aufzeigen, was tatsächlich in der Produktion passiert. Es gibt auch viele Labels, die erstmal groß genug werden müssen, um sich ein Siegel leisten zu können bzw. den Aufwand der Zertifierung. Zurück zur Schwammigkeit des Begriffs Nachhaltigkeit: Wir haben uns damals für 10 Kriterien der Nachhaltigkeit entschieden, anhand derer wir die Nachhaltigkeit von Produkten beurteilen können. Avocadostore ist hier nicht der Richter, sondern wir treffen eine Vorauswahl und geben dem Kunden eine Orientierung, entscheiden muss er aber selbst was für ihn/sie heute ein nachhaltiges Produkt ist. Der Schlüssel dazu ist Transparenz und Information. Deswegen machen wir nicht einfach ein Tag an die Produkte, sondern erläutern mit den Kriterien soviel Info wie wir finden können (die ja auch immer noch einen Text haben, warum das Kriterium erfüllt ist). Weil uns das nicht reicht, kann jeder Kunde an jedem Produkt fragen stellen, kritisieren und Feedback geben. Denn: die Definition von Nachhaltigkeit ist ein Diskurs, der geführt werden will. Vor 10 Jahren kannte kaum jemand das GOTS-Siegel, inzwischen schon, es tut sich echt viel in dem Bereich. Zum im Artikel genannten Beispiel Matt & Natt: Für viele Menschen ist Veganismus der erste Einstieg in die Nachhaltigkeit und das ist ok so. Andere hören auf Auto zu fahren oder leben plastikfrei. Alles ist ok. Jeder Schritt zählt. Die Produkte von Matt & Natt erfüllen das Kriterium „recycelt“, da das Material aus recycelten Flaschen besteht. Und noch ein weiteres: Langlebigkeit, da die Produkte sehr lange halten und viel aushalten. Zur fairen Produktion: Nur weil noch nicht alle Fabriken zertifiziert sind, heißt das nicht, dass die Marke nicht noch mehr dafür tut. Und immerhin haben sie schon etwas für eine fairere Produktion getan, was viele andere nicht tun. Wir sind in Gesprächen mit der Marke, weil wir auch finden, dass da noch mehr passieren sollte. Man kann Matt & Natt noch bei Avocadostore kaufen, weil sie eine Alternative zu herkömmlichen Produkten darstellen. Und genau das ist auch der Grund, warum ich hier öffentlich antworten möchte: Es ärgert mich, inhaltlich auf die gleich Stufe gestellt zu werden, wie die Großen, obwohl Avocadostore als erstes vor allem digital sehr viel für und auch mit nachhaltigen Brands daran arbeitet, das Thema für möglichst viele Menschen zu öffnen und nicht nur für eine kleine Nische. Nur so ist ein großer Impact möglich. Insgesamt gibt es bei Avocadostore über 1000 Brands, die wirklich Veränderung bewirken und die wir alle durch Feedback und einer Entscheidung für oder gegen eine Marke mitgestalten können. Eine Recherche oder Nachfrage vor dem Artikel wäre wünschenswert gewesen, da wir ansonsten ja auch inhaltlich viel mit dem Autor und seinem Shop Grüne Wiese gemeinsam haben, zumindest, was die Auswahl der Marken angeht, die wir verkaufen.

Ich (Autor des Artikels) stehe mit Mimi Sewalski in persönlichem Kontakt, auch wenn wir leider noch keine Zeit für ein Telefonat gefunden haben. Für alle anderen möchte ich hier nun auch öffentlich auf ihre Stellungnahme antworten.

Hallo Mimi,

danke für deine Stellungnahme. Um es ganz klar zu sagen: mir ist die Bedeutung von Avocadostore als zentralem Marktplatz für kleine nachhaltige Modelabels total bewusst und ich rate kleinen Labels immer ihre Kollektionen auch über Avocadostore anzubieten. Ich finde eure Arbeit in vielen Bereichen sehr gut und wichtig, nur eben nicht im Bereich der Nachhaltigkeitskriterien und das habe ich auch bereits in den Anfangsjahren mehrfach an euch (vor allem Gründer Philipp Glöckler) herangetragen. Dass euer Kriteriensystem sich seit damals letztlich kaum verändert hat, hat mich ehrlich gesagt selbst überrascht.

Ursprünglich wollte ich tatsächlich nur über die großen Plattformen schreiben. Dabei ging es mir explizit um das nach außen vertretene, auch für Kunden sichtbare Nachhaltigkeitsverständnis, was den Kategorien/Zuordnungen zu Grunde liegt. Daher habe ich zu keiner Plattform Kontakt aufgenommen. Mir ist dann nochmal bewusst geworden, dass einige mittelgroße Händler, die das Thema Nachhaltigkeit forcieren, ebenfalls keine wirklich eindeutigen Mindestkriterien haben. Aus Prinzip trotzdem nur die ganz Großen zu betrachten erschien mir unangebracht. Avocadostore habe ich in meine Betrachtung reingenommen, weil es die mit Abstand größte und bekannteste „grüne“ Plattform ist.

An dieser Stelle hat dein Kommentar mir allerdings deutlich gemacht, dass ich wohl nicht klar genug hervorgehoben habe, dass der Avocadostore selbstverständlich ein nachhaltigeres Sortiment als die Nachhaltigkeitskategorien von Zalando und Co. hat. Dafür möchte ich mich entschuldigen!
Ich habe das nun im Artikel nochmal ergänzt und etwas umgestellt. Ich hatte angenommen das wird schon dadurch klar, dass ich schreibe :“Im Gegensatz zu den Anfangsjahren findet man zumindest im Modebereich im Avocadostore inzwischen nur selten wirklich nicht-nachhaltige Produkte.“, während ich bei den anderen Händlern aufgezeigt habe, dass dort vielmehr die nachhaltigen Produkte sogar in der Nachhaltigkeitskategorie die Ausnahme sind.

Konkret die Matt&Nat-Tasche finde ich problematisch, weil da nur – wie ich im Artikel schon schreibe – das Futtermaterial recycelt ist, mit einem sehr geringen Anteil am Produkt. Zugleich ist SA8000 von den besseren Sozialstandards laut Forschung der Schwächste und den haben sie nach vielen Jahren weiterhin nur bei einem Zulieferer. Ich kenne die Marke schon sehr lange, habe mit Matt&Nat oft gesprochen und konnte nie erkennen, dass sich da etwas bewegt. Dass sie immer noch mit PVC als Hauptmaterial arbeiten finde ich 2020 ehrlich gesagt unglaublich. Eine Tasche aus konventionellem Polyester made in Spain, wie es sie vielfach am Markt gibt, wäre sowohl nachhaltiger als auch hinsichtlich der Arbeitsbedingungen risikoärmer produziert und trotzdem würde sie wohl niemand als nachhaltiges und/oder faires Produkt anbieten.

Das System der 10 Kriterien finde ich für eine Plattform mit der Angebotsbreite von Avocadostore prinzipiell passend, aber es könnte ja gleichzeitig Mindest- und Ausschlusskriterien geben, die sicherstellen, dass weder besonders umweltschädliche Materialien (wie z.b. PVC) verwendet werden, noch es höhere Risiken für die Verletzung von Arbeitsmindeststandards (wie z.b. bei unzertifizierter Produktion in China) gibt.

Mein Aufruf für die Entwicklung eines gemeinsamen Nachhaltigkeitsverständnisses in der nachhaltigen Szene, um uns Allen (Anbietern, Kunden, Influencern, …) mehr Klarheit zu verschaffen und Zalando und Co. etwas entgegen zu setzen, bezieht euch selbstverständlich mit ein. Niemand anderes in der nachhaltigen Modebranche hat eine vergleichbare Reichweite und könnte eine solche Definition so gut verbreiten. Ich werde zeitnah einen Vorschlag machen, wie so etwas aussehen könnte und hoffe damit einen breiteren Diskurs anstoßen zu können. Ich freue mich, wenn ihr euch beteiligt.

Moin!
Die Definition von „nachhaltig“ mit sozial und öko ist meiner Meinung nach auch etwas veraltet. Ich finde man sollte darunter auch eine sinnvolle textile Lösung sehen, die sowohl in ein Kreislaufsystem passt, sei es Recycling oder Reparatur. Ich stimme auch zu, dass der Begriff „vegan“ irreführend, zum Teil sogar unverschämt beim Thema nachhaltige Textilien ist. Es fällt generell auf, dass die Kriterien, mit denen man als „nachhaltig“ gilt in den letzten Jahren stark aufgeweicht wurden, sei es beim Handel, auf Messen oder im Bewusstsein der Menschen. Vorreiter wie der Avocadostore sollten sich meiner Meinung nach deshalb genauer abgrenzen um nicht an Glaubwürdigkeit zu verlieren damit sie im Dschungel des onlinehandels ihr Stück vom Kuchen abkriegen. Ja, jeder Schritt in die richtige Richtung ist gut, es muss nicht immer gleich alles richtig sein, aber, und ich glaube das wollte der Autor zeigen, ist es super wichtig klar zu trennen, wer es ernst meint und wer nur auf den Trend aufspringt (siehe Zalando). Das wird in Zukunft nur durch sinnvolle Kriterien und Aufklärung möglich sein. Und die findet im Avocadostore bisher leider überhaupt nicht statt…

Ich kaufe schon seit einigen Jahren immer mal wieder etwas beim Avocaodostore. Mir gefällt es super, dass ich bei jedem Produkt genau sehen kann, welches der zehn Kriterien erfüllt sind. So kann ich selbst entscheiden, was mir wichtig ist. Ich wähle zum Beispiel gerne das Kriterium „vegan“ aus. Ich bin zwar auch kein großer Fan von (recyceltem) Polyester, mir ist es aber noch wichtiger, dass kein Tier leidet. Ich finde, jeder der nachhaltiger konsumieren möchte, sollte selbst entscheiden können, wie das bei ihm genau aussehen soll. Nachhaltigkeit ist eben nicht schwarz oder weiß.

Hallo Lars,

du arbeitest mit deinem Artikel ein wichtiges Thema auf!
Tatsächlich beschäftigen wir uns gerade mit einer differenzierteren Definition des Nachhaltigkeitsbegriffs, um möglichst nachvollziehbar in unserem Onlineshop zu kommunizieren, wieso Produkte in die Nachhaltigkeitskategorie eingeordnet werden. Um unseren Kunden die Orientierung zu erleichtern und mehr Klarheit zu schaffen, entwickeln wir zurzeit ein präziseres Bewertungssystem, das eindeutig kennzeichnet, inwiefern der Nachhaltigkeitsstatus entsprechender Produkte (im Sustainable Shop) legitimiert wird. Damit möchten wir an das Thema heranführen und Alternativen aufzeigen. Wir befinden uns als Unternehmen selbst noch in einem Lernprozess, sind aber sehr bedacht darauf, für unsere Kunden noch transparenter und zunehmend nachhaltiger zu werden.
So haben wir vor kurzem eine neue Position bei uns geschaffen, um genau dieses Thema anzugehen und ganzheitlich in unsere Unternehmensstruktur zu integrieren. Neben klareren Produktbeschreibungen umfasst dies auch die nachhaltigere Entwicklung unserer eigenen „Kauf Dich Glücklich“ Kollektion, entlang der gesamten Produktionskette. Dabei spielt neben den sozialen und ökologischen Kriterien auch Textil-Recycling eine tragende Rolle.

Wir freuen uns darüber, dass dir aufgefallen ist, dass wir immer mehr nachhaltige Labels mit ins Sortiment aufnehmen. Nachhaltigkeit soll bei uns keine Ausnahme sein, sondern unser Unternehmen zunehmend mitgestalten!

Wie Mimi aber schon richtig anmerkte, benötigen besonders die kleineren Brands eine gewisse Vorlaufzeit um den monetären und organisatorischen Anforderungen einer Zertifizierung zu entsprechen. Diese Chance möchten wir Ihnen geben.
Danke Mimi, für deine Richtigstellung bezüglich unserer Unternehmensstruktur, Größe und Ausrichtung. Es ist uns wichtig, nicht mit Onlineriesen wie Zalando und Asos verglichen zu werden, deren Verkaufskonzept sich erheblich von unserem unterscheidet.

Auch wir sind durchaus interessiert an einem Austausch zur Entwicklung eines gemeinsamen Nachhaltigkeitverständnisses und würden uns gerne in die Gestaltung des Diskurses mit einbringen. Wir freuen uns darauf, zukünftig in Kontakt zu bleiben und uns mit Hilfe konstruktiver Vorschläge, Anmerkungen und Ideen Schritt für Schritt weiter zu verbessern.

Liebe Grüße vom Kauf Dich Glücklich Team

Hallo Kauf dich Glücklich-Team,

vielen Dank für eure Stellungnahme. Ich freue mich, dass ihr euch verstärkt mit dem Thema auseinandersetzt.

Ich bin auch dafür Labels Zeit zu geben für Umstellungen, wobei das für kleine Labels manchmal leichter ist als für wirklich Große. Viele kleine Labels produzieren eh „fair“ in Low Risk Countries (oft Portugal oder Spanien). Die müssten also erstmal nur Bio-Baumwolle statt konventionelle Baumwolle kaufen und Ecovero oder Tencel statt konventioneller Viskose oder Polyester. Das ist kein Hexenwerk, geht oft sogar beim selben Produzenten und ist damit doch letztlich mehr eine Frage des Wollens und der Bereitschaft womöglich auf etwas Marge zu verzichten, wenn den eigenen Kunden keine Mehrpreisbereitschaft zugetraut wird.

Soziale Zertifizierungen für Produktionen in Asien hingegen brauchen Zeit und Fair Wear Foundation Mitgliedschaften sind an Umsatzschwellen gebunden, die kleine Labels oft nicht erreichen.

In euren Sustainability-Shops hatten mich mehr die hellgrünen Produkte der sehr großen Marken irritiert. Also sowas wie der Adidas Sweater ohne faire Produktion mit ein bisschen Recycling-Polyester drin. Ähnlich die Styles von Selected. Das ist letztlich weniger Nachhaltigkeit als bei h&m Conscious und sollte daher meiner Meinung nach auch nicht als solche beworben werden.

Generell ging es mir in dem Artikel nicht darum, dass die Sortimente der besprochenen Händler nicht schon total nachhaltig sind. Das ist bei einer konventionellen Ausrichtung ja logisch. Mich hat schockiert, dass in vielen Fällen Produkte als nachhaltig beworben werden für die dieser Begriff eindeutig zu groß ist. Da sind die betroffenen Hersteller/Brands/Marken interessanter Weise oft zurückhaltender als ihre Händler.

Viele Grüße
Lars

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