Wenn mein Kopf voll ist, ziehe ich mir Laufschuhe an und jogge um die Alster. Dabei sortieren sich meine Gedanken und was mich belastet, kommt mir leichter und weniger wichtig vor. Dasselbe passiert beim Wandern. Nach wenigen Stunden an der freien Luft, merke ich wie mein Körper seinen eigenen Rhythmus wiederfindet. Wie Atem, Bewegung und Herzschlag zusammen pulsieren und mein Kopf aufhört sich im Kreis zu drehen. Nach mehreren Tagen sehe ich Problem gelassener und trotz Erschöpfung fühle ich mich erholt.
Vor der eigenen Haustüre
Ich kenne viele, die bei Naturerlebnissen an Kanada denken, an Island und Neuseeland. Dabei gibt es wunderschöne Ecken direkt vor der Haustür, in Europa. Wer mit dem Zug anreist, tut zum einen was für den Klimaschutz – ein Flug nach Neuseeland verursacht über 13 Tonnen CO2, also die sechsfache Menge eines nachhaltigen CO2-Jahresbudgets. Zum anderen stellt sich der Kopf über eine entschleunigte Anreise auf das Wandern ein.
Als ich im Spätsommer ein paar Tage frei hatte, bin ich in den Harz gefahren. Ich war noch nie da, aber aus Hamburg kann ich mit dem Zug bequem anreisen und es gibt genug Strecken, die ich in drei Tagen wandern kann. Ich habe mir den Harzer Hexenstieg rausgesucht, ein insgesamt 94 Kilometer langer Weg zwischen Osterode und Thale über den Brocken. Zwar sind dreißig Kilometer Tagesstrecke viel – wer noch nicht wandern war, fängt besser mit rund 15 Kilometer an, aber ich hatte einen leichten Rucksack und war alleine unterwegs. Außerdem wollte ich mich erschöpft.
Durch die meisten Wandergebiete kann man auf verschiedene Weise navigieren. Es gibt Karten, meistens sehr gute Webseiten und immer häufiger, meist weniger gute Apps. Oft reicht Goolge Maps, denn die Weg selbst sind an allen Gabelungen durch spezielle, leicht zu erkennende Symbole gekennzeichnet – in meinem Fall eine Hexe auf einem Besen. Das macht das Wandern bequem. Ich hatte trotzdem eine Karte gekauft, weil ich Karten liebe und ohne mobilem Internet wandere. Zwar höre ich beim Laufen Hörbücher und Podcast, die lade ich mir aber vorher runter.
Der Harzer Hexenstieg
Die erste von drei meiner Etappen ab Osterode führt an Seen vorbei und an Skiliften, die im Sommer skurril antik wirken. An Wegrändern stehen Blau- und Himbeerbüsche. Ich laufe auf großen Waldwegen und kleinen Pfaden, die unter Bäumen durchführen. Baufällarbeiten lassen den Wald intensiv nach Nadelölen duften. In diesem Teil der Strecke gibt es nur Fichten. Einen großen Teil der Strecke laufe ich entlang der teils über 800 Jahre alten Wasserwege, die zum UNESCO-Welterbe gehören. Sie dienten dem Betrieb der Erzförderung in der Region und sind zusammen über 300 Kilometer lang. Das schönste Erlebnis ist die Wolfwarte bei Sonnenuntergang kurz vor meinem ersten Nachtquartier Torfhaus. Ein paar schroffe Felsen mit Panorama-Blick über die Baumspitzen. Absolute Stille und ein kilometerweiter Blick über blasser werdende Hügelketten. Nur weil ein Teilabschnitt gesperrt war, bin ich überhaupt hier vorbei gekommen. Das passiert beim Wandern immer wieder: Nicht die Stationen der Reiseführer, sondern zufälligen Erlebnisse bleiben als Erinnerungen.
Der zweite Tag, über den Brocken ist wenig spektakulär. Vielleicht liegt es daran, dass es sich für mich seltsam anfühlt, zunächst alleine zu Wandern und dann auf dem Brocken auf so viele Menschen zu stoßen. Die alten Eisenbahnen, alles wirkt wie Spielzeug aus in einem Miniaturwunderland. Kaum zu glauben, dass hier mal eine Grenze war.
Im letzten Abschnitt von Königshütte nach Thale verändert sich die Landschaft dafür um so mehr. Zum Guten. Mischwald ersetzt Fichten und ich komme an viele Stauseen vorbei. Viele Hölen und Minen sind Relikte alter Bergbautätigkeiten; die meisten sind verschlossen, einige kann man besichtigen. Kurz vor Thale habe ich das Gefühl irgendwo anders zu sein. Vielleicht Kanada. Steile Felsklippen, ein rauschender Fluss und bunte Bäume. Fast ständig halte ich an und mache Fotos. So intensiv sind die Farben und Geräusche.
Ein weiteres von vielen Abenteuern
Ich bin kein Wanderfreak, aber ich war schon in verschiedenen Ecken Europas. In Frankreich und England, in Schweden war ich paddeln. Vieles will ich noch sehen. Ich mag Strecken die nicht zu überfüllt sind. Manchmal liegt das aber auch an der Jahreszeit. Der Harzer Hexenstieg ist ideal für Menschen, die einen Mix aus Attraktionen und Natur suchen. Oder für Menschen, wie ich, die ein paar Tage Zeit haben und gerne viel laufen. Meistens kann man anderen Menschen aus dem Weg gehen. Es gibt Regionen mit mehr Abwechslung als den Harz, aber die vielen Möglichkeiten und die einfache Erreichbarkeit sind ein Plus für alle, die Wandern ausprobieren wollen oder nicht so viel Zeit haben. Mich hat auch gefreut, dass ich auf der Strecke neue Freunde kennen gelernt habe, Tina und Chris, mit denen ich einen großen Teil der Strecke gelaufen bin und sehr gute Gespräche geführt habe.
In unserer neuen Reihe begleiten wir Hanno ab sofort bei seinen Outdoor-Aktivitäten und zeigen euch tolle und abwechslungsreiche Möglichkeiten „um die Ecke“, neue Abenteuer entdecken zu können.
1 Kommentar
Kommentierenschöne Orte, die ich hoffentlich eines Tages besuchen werde