Wer verreist, sucht nach Ruhe, glücklichen Momenten mit der Familie oder Abenteuern. Andere scheinen davon im Überfluss zu haben, nur wir nicht. Wir durchsuchen das Internet, buchen Reisen und kaufen Reiseführer, um unseren Problemen ein paar Tage zu entkommen. Doch es ist schwierig zu finden, was wir suchen. Noch schwieriger ist es, zu wissen, nach was wir suchen.
Mir geht das so. Vor Jahren liebte ich es in Metropolen zu flanieren und ihre Atmosphären aufzusaugen. Doch nach wenigen Tagen merkte ich, dass sich zwischen Cafés, Museen und Stadtvierteln alles wiederholt. Irgendwann ist es einem gleichgültig – noch eine Kirche, noch ein Café. Ich hatte Städte satt, auch wenn ich sie nach wie vor liebe – Paris, Berlin, Leipzig.
Ich wollte raus in die Natur, und wandern. Ich war in England, Frankreich und Deutschland. Am liebsten Wege, auf denen man nicht den Karawanen anderer Wandernden folgt. In der Natur passieren Dinge, die einen mit Zufriedenheit durchfluten und an die man sich noch nach Jahren zurückerinnert – der gescheiterte Versuch sich unter einem Baum vor Regen zu schützen, der Ausblick in die Ferne nach acht Stunden Wanderung oder nur ein kalter Cidre in einem kleinen Dorfpub. Man kann so etwas nicht planen. Aber man kann die Wahrscheinlichkeiten für glückliche Zufälle erhöhen. Und die sind, nach meinen Erfahrungen, häufiger in der Natur.
Das Regal der Reiseliteratur überflutet einen mit Ratgebern. Doch bei genauerem Hinsehen gibt es zum einen die klassischen romandicken Bände, die einen von Ort zu Ort führen mit Stadtkarten und Listen an Museen, Kirchen und Hotels. Natur existiert in ihnen nur in Form von Stadtparks. Zum anderen gibt es die ausgeschmückten Fotobände, die aktuelle Trends wie #Vanlife oder #Wanderlust aufs Papier bringen und die man unter der Glasplatte des Wohnzimmertisches aufbewart. Klar ist, dass die meisten diese Reise höchstens in ihrer Fantasie antreten werden. Der Verlag Haffmans Tolkemitt versucht es anders und stößt uns damit, besser als die Konkurrenz, auf das, was wir eigentlich suchen. Ich habe mit Till Tolkemitt über die Idee des Verlages, persönliche Reiseabenteuer, die Blindheit für Nebenschauplätze und über Elfenwälder gesprochen.
Hanno: Hallo Till. Wie ist euer Verlag entstanden?
Till: 2009 habe ich unseren ersten Band veröffentlicht: Cool Camping Deutschland. Da gab es in Deutschland nur die klassischen ADAC-Campingführer. Camping war noch gefangen in diesem Wohnwagenspiessertum, in dem ein Wohnwagen neben dem nächsten steht, und die Leute auf dem Campingplatz gerne einen Jägerzaun aufstellen. Es gab schon Begriffe wie Cool Camping und auch alternative Campingplätze und Abstellmöglichkeiten für Vans und Camper. Mich hat dann jemand von der ARD angesprochen, der in England einen Fernsehbericht über Cool Camping gemacht hatte. Er schlug mir vor: Ich habe einen Bully und schreibe ein Buch Cool Camping Deutschland. Er ist dann durch Deutschland gereist und in das Buch sind dann Campingplätze mit einem gewissen Wow-Faktor geflossen. Plätze, bei denen es eine schöne Aussicht gibt und nicht darauf ankommt wieviel Steckdosen es gibt oder wie toll die Waschplätze wirklich sind. Sondern Plätze mit Flair. Das Buch lief super. Danach folgte Cool Camping Europa und so weiter. Diese Welle ist jetzt totgetreten. Jetzt gibt es unzählige Campingführer und alle wollen lässiger sein als der Vorgänger.
Hanno: Was waren weitere Projekte von eurem Verlag?
Till: Dann haben wir weitergemacht mit dem Wohnmobil – oder Campervans – wie sie heute heißen. Das war die zweite Reihe. Die nächste Reihe war Wild Swimming. Das haben wir auch aus England übernommen, da gibt es viele Wild Swimming Vereine. Wir bringen Menschen an Orte, an denen man draußen in der Natur schwimmen kann und das erlaubt ist. Dazu zählen Seen, Flüsse, Bäche und Wasserfälle. Das haben wir für Deutschland gemacht und für die Alpen, dann ist daraus eine ganze Reihe entstanden. Das ist eine ganz andere Art von Reiseführern: Wenn man nach Frankreich in den Sommerurlaub fährt, dann sind diese Orte in keinem anderen Reiseführer zu finden. Die Bücher sind eher als Ergänzung zur Reiseplanung gedacht. Und dann kamen die Wild Guides dazu. In ihnen werden Regionen vorgestellt. Da geht es zu Höhlen oder tollen Aussichtspunkten und Gipfeln, die keiner kennt, zu alten Ruinen und Festungsanlagen aus dem zweiten Weltkrieg, Gasthöfe und lokale Märkte, die wir empfehlen können, zu Wasserfällen oder Wildschwimmgelegenheiten. Der Ansatz ist: Die Wild Guides führen dich an Orte, an die dich kein anderer Reiseführer bringt. Die vierte Reihe heißt Hidden Beaches. Ein Buch gibt es jetzt für Deutschland und es kommen andere Länder dazu.
Hanno: Menschen verhalten sich widersprüchlich. Zum einen buchen sie Pauschalreisen oder wenn sie in die Natur wollen, dann muss es gleich Neuseeland, Kanada oder Island sein. Gleichzeitig werden Reiseregionen vor der eigenen Haustür, wie zum Beispiel der Odenwald, kaum besucht. Warum können wir keine Begeisterung für die Natur vor der eigenen Haustür schaffen?
Till: Ja, warum ist das so?! Warum haben diese Orte nicht alle längst tolle Wohnungen für Feriengäste, die man mietet, um im Odenwald wandern zu gehen. Zwei Drittel der deutschen Fläche ist Wald. Und wir haben das Gefühl hier sind nur Straßen. Das stimmt aber überhaupt nicht. Wie du sagt: Diese Sehnsuchtsorte sind häufig Neuseeland oder Kanada. Da sind sie einfach leicht zu finden. Wenn du hingegen nach Frankreich fährst, musst du dich entschließen auch irgendwann mal abzubiegen, wo sonst keiner abbiegt anstatt stracks an die Cote d’Azur zu fahren. Da ist dein Sehnsuchtsort nicht mehr zu finden. Der Strand ist voll mit Menschen. Man braucht jemanden, der einen an besondere Ort bringt. Selbst recherchieren ist schwierig. Sehnsuchtsorte sind einsam, deshalb sind sie auch nicht so erschlossen.
Hanno: Reiseführer stellen meistens Städte vor und was es in deren Umgebung gibt. Aber wenn ich nach Schweden fahre, will ich mir nicht Städte und Kirchen anschauen, sondern in die Natur. Kein Reiseführer sagt mir, was ich in Regionen erleben kann. Hinkt da die Literatur den Bedürfnissen der Menschen hinterher? Wären Reiseführer nicht der erste Schritt Menschen wegzubekommen von dieser Sicht auf Urlaub. Hin zu mehr Eigenständigkeit und einer anderen Motivation Länder zu entdecken.
Till: Ich glaube es gibt Menschen, die sich nach diesem anderen Reisen sehnen. Menschen stoßen auf unsere Bücher und sagen sich: Super! Dann machen wir jetzt mal eine andere Art von Urlaub. Vielleicht wären sie nicht drauf gekommen in die französischen Alpen zu fahren. Dann stoßen sie auf das Buch und wollen das auch mal machen. Ich glaube schon, dass sich die Einstellung der Menschen ändern kann. Es gibt einen Vorwurf an die Bücher dass sie Geheimtipps verraten.
Hanno: Verratet ihr Geheimtipps, die vielleicht geheim bleiben sollten?
Till: Zu unserem Buch Hidden Beaches hören wir den Vorwurf, wir verraten geheime Orte. Aber zu diesen Stränden muss man hinwandern, sie sind versteckt. Sie sind eben nicht am Parkplatz, sondern manchmal nur mit dem Kanu zu erreichen oder du musst 1,5 Stunden hinwandern. Sowas gibt es auch in Deutschland. Da bist du da relativ allein. Klar kann man sagen: Keiner soll da hingehen. Aber diesen Weg auf sich zu nehmen schafft ja auch eine Verbindung zwischen Menschen und Natur. Ich habe einfach ein anderes Verhältnis zur Welt, wenn ich mal 1,5 Stunden Wandern muss, um an einen Strand zu kommen. Und da gibt es dann keine Pommesbude oder Toiletten. Und vielleicht ist der Strand auch etwas steiniger.
Hanno: Aus meinen Erfahrungen kann ich sagen: Wenn man eine halbe Stunde braucht, um irgendwo zu Fuss hinzulaufen, ist die Anzahl an Menschen extrem reduziert. Im Harz, zum Beispiel, hasse ich den Brocken. Das ist für mich ein Freizeitpark. Das finde ich furchtbar. Dann gibt es Luftlinie paar Kilometer entfernt die Wolfswarte, von der man einen wunderschönen Blick hat, aber zu der man nur zu Fuss kommt. Da habe ich nie mehr als 5, maximal 10 Leute gesehen.
Till: Ich weiß. Die Leute gehen nicht um die Ecke. Das gilt für so viele Strände. Sogar auf Inseln wie Sylt ist das so. Ich war gerade in Kapstadt, im Winter. Da gibt es den Tafelberg. Da fährt man mit der Gondel auf 1000 Meter. Da ist dann eine Traube von Touristen. Hinter dem Berg ist ein Naturpark, in den man mit zwei Übernachtungen hin und zurück wandern kann. Nur zehn Minuten zu Fuss und man ist alleine in einer fantastischen Natur. Wirklich verrückt.
Hanno: Erlebnisse in der Natur kann man nur begrenzt planen. Zum Beispiel habe ich die Wolfswarte im Harz nur entdeckt, weil der Weg gesperrt war und ich da langlaufen musste. Ich habe es gehasst, weil ich am Ende von fast 30 Kilometern Tagesetappe diesen Berg hoch musste. Und dann war das mein schönstes Erlebnis der gesamten Wanderung. Es kann aber auch das Wetter oder etwas anderes sein, das eine unvergessliche Erinnerung schafft. Vielleicht muss man deshalb viel stärker den Zufall zulassen.
Till: Ja. Genau so ist das.
Hanno: Ich habe noch vieles, was ich in Europa sehen will. Was willst du noch sehen?
Till: Ich bin großer Skandinavienfan. Angefangen mit Dänemark und der Nord- und Ostsee. Schweden und Südschweden ist so gespickt mit fantastischer Natur. Da darfst du dann ja auch noch wild campen. Das darf man ja in Deutschland nicht. Dass man dann wirklich mal in eine Waldeinfahrt fahren und da übernachten kann, das macht die Sache dann schon komplett anders. Ich liebe es sehr, dass im Sommer die Tage so lang sind. Man hat so viel Licht. Und in England ist auch das Trespassing erlaubt: Du darfst durch einen fremden Garten gehen, um zu einem Teich zu kommen und da zu baden. Das ist in Deutschland auch nicht erlaubt. Die englische Natur ist eh fantastisch. Vor allem Südengland: Cornwall, Devon, Somerset, Wales. Das sind meine Lieblingsregion im Norden.
Hanno: Ich war in England mal auf dem Cosworth Way wandern. Ich kann mich noch an viele kleine Orte, an Menschen und Dorffeste erinnern. Warum ist Skandinavien so faszinierend? Sind das die Seen? Die Inseln? Die Wälder?
Till: Es ist alles. Seen, Wälder, Inseln. Für mich gibt es da aber auch überall das Meer. In Skandinavien ist überall Meer: Nordsee oder Ostsee. Ich bin Surfer und gerne an der Nordsee – ein Meer mit richtigen Wellen. Und da gibt es ein Detail, das ich sehr liebe, wenn ich im Norden Dänemarks bin. Der Busch- und Waldbestand ist da nur so zwei bis drei Meter hoch. Alle Bäume sind vom Wind gebogen. Und weil es wegen der Meeresnähe so feucht ist, ist alles mit Moos bewachsen. Auf dem Boden wachsen Pilze und auch die Bäume sind bemoost. Von ihnen hängen Schlingpflanzen runter und man geht auch auf ganz weichem Boden. Das sind Elfenwälder, die ich sehr lieb gewonnen habe.
Hanno: Was sind deine nächsten Projekte?
Till: Es kommt ein Wild Guide Kapstadt. Es gibt einen Guide Winterschwimmen, in dem es um Eisschwimmen geht. Dann kommt Wild Guide Sizilien und Wild Guide Kanarische Inseln. Es kommt ein Wild Guide über Schleswig-Holstein und Norddeutschland. Das ist erstmal ein Testballon. Wenn der funktioniert, dann machen wir nach und nach mehr zu Deutschland.
Hanno: Danke für das Gespräch.
Mehr Ausflüge und Videos zu allen Bildern findest du auf dem Youtube-Kanal des Autoren.
In unserer Reihe begleiten wir Hanno bei seinen Outdoor-Aktivitäten und zeigen euch tolle und abwechslungsreiche Möglichkeiten „um die Ecke“, neue Abenteuer entdecken zu können.