Ende April fand nicht nur die Fashion Revolution Week statt, sondern auch die c/o pop. Fairtrade Deutschland nutze beide Anlässe, um über ein wichtiges Thema zu sprechen: Fairer Merch in der Musikindustrie. Noch gibt es nur wenige Acts, die bei der Produktion von Shirts, Hoodies und Caps auf fairen Handel achten. Das soll sich ändern.
Ich hatte die Gelegenheit, mit Lisa Herrmann von Fairtrade Deutschland über die aktuelle Lage, Vorzüge des fairen Handels und Acts als Vorbilder zu sprechen.
Liebe Lisa, T-Shirts, Hoodies, Beutel – beim Thema Merchandise sollte man als nachhaltig lebender Mensch genauer hinsehen. Warum ist das so?

© Anna-Maria Langer
Nicht alles, was gut aussieht, ist auch gut gemacht: Viele Textilprodukte fallen leider in die Kategorie „Fast Fashion“. Sie werden unter menschenunwürdigen Bedingungen gefertigt und bei ihrer Produktion kommen eine Menge schädlicher Substanzen zum Einsatz. Das schadet der Umwelt, aber auch den Menschen, die Shirts, Hoodies und Co. für uns fertigen. Kleidung zählt zu den Importprodukten mit dem größten Risiko für Menschenrechtsverletzungen.
Wie schlimm die Arbeitsbedingungen in der Textilindustrie zum Teil sind, wurde am 24.04.2013 ziemlich deutlich: Da ist die Textilfabrik Rana Plaza in Sabhar, Bangladesch, eingestürzt. 1.135 Menschen sind gestorben, weitere 2.000 wurden verletzt. Eine solche Katastrophe darf sich nicht wiederholen!
Mit Fairtrade Deutschland setzt ihr euch für faire Lieferketten ein. Wenn du auf den Merch-Stand eines durchschnittlichen Festivals schaust – was geht dir da durch den Kopf?
Dass da ein riesiges Potential liegt, um gemeinsam einen echten Unterschied zu machen. Selbst wenn nur die Hälfte aller Merch-Artikel das Fairtrade-Siegel tragen würden, würde das für Baumwollbäuerinnen und -bauern sowie für die Millionen von Menschen, die in der Textilproduktion beschäftigt sind, so viel zum Besseren verändern. Sie würden Trainings erhalten zu ressourcensparendem Anbau, was vor allem durch die veränderten klimatischen Bedingungen so wichtig ist. Oder zur Einkommensdiversifikation, die ein Schlüssel für wirtschaftliche Stabilität und Unabhängigkeit ist. Beschäftigte hätten geregelte Arbeitszeiten, feste Arbeitsverträge, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und Mutterschutz.
So viele Menschen profitieren von fairem Merch
Außerdem würden sie mindestens den gesetzlichen Mindestlohn erhalten – und perspektivisch einen existenzsichernden Lohn. So viele Menschen würden zudem von der Fairtrade-Prämie profitieren. Das ist ein zusätzlicher Geldbetrag, über dessen Verwendung gemeinschaftlich entschieden wird. Mit der Prämie können beispielsweise Krankenstationen eingerichtet oder Schulen ausgebaut werden.
Was würdet ihr einer Band raten, die fairen Merch anbieten will? Wo siehst du die größten Hebel für eine positive Veränderung?
Wir arbeiten mit vielen Textilunternehmen zusammen und können sowohl für große Chartstürmer als auch aufstrebende Newcomer passende Produkte in der gewünschten Menge bereitstellen – selbst wenn erstmal nur ein Teil einer größeren Merch-Palette das Fairtrade-Siegel trägt, hat das schon einen Impact.
Junge Menschen wollen Veränderung sehen
Und: Tut gutes und sprecht drüber! Nutzt eure Stimmen und eure Reichweite auf Social Media, um über die Missstände in der Textilproduktion aufzuklären und mit fairem Merch ein Statement zu setzen. Davon profitieren nicht nur Baumwollfarmer*innen und Textilarbeiter*innen in Indien, Bangladesch und Pakistan, sondern auch die Acts selbst: Schließlich sind es gerade junge Menschen, die wirklich eine Veränderung sehen wollen. Für die Nachhaltigkeit nicht nur ein trendiges Schlagwort, sondern eine echte Herzensangelegenheit ist. Umfragen zeigen immer wieder, wie wichtig das Thema ist.
Bands und Labels haben hier also die Chance, sich als Trendsetter zu positionieren und Fairtrade gezielt für ihr Image Building einzusetzen.

Welche guten Beispiele von Brands, Künstler*innen und Bands, die fairen Merch anbieten, gibt es aus deiner Sicht?
Wir stellen ein verstärktes Interesse an nachhaltig produziertem Merch bei Festivals und Artists fest. Dabei handelt es sich zumeist jedoch nur um Bio-zertifizierte Baumwolle, was zwar für die Umwelt gut ist, jedoch nicht zu Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in der Textilbranche führt. Es gibt aber durchaus große Beispiele, wie beispielsweise das Merchandising des Labors Tempelhof, dem Open Air der Band Die Ärzte, das nach den Prinzipien der Kreislaufwirtschaft umgesetzt wurde. Hier wurde zirkuläres Merchandising angeboten, das Fairtrade-zertifiziert war.
Zudem legen große Acts, wie Nina Chuba, AnnenMayKantereit, Milky Chance oder Kraftklub bereits Wert auf Bio Baumwolle, was eine wichtige Vorbildfunktion am Markt hat.
Was müsste passieren, damit faires Merch in der Musikbranche nicht die Ausnahme, sondern der Standard wird? Wer müsste da anpacken – die Labels, die Artists oder die Fans?
Je mehr mit anpacken, desto besser. Alle Beteiligten tragen hier Verantwortung, alle können einen Beitrag leisten. Labels können ihrer Profil schärfen, indem sie bei Merch-Produkten auf Fairtrade setzen – das entspricht auch dem, was junge Konsumenten und Konsumentinnen fordern. Fans wiederum können ihre Lieblingsact und -labels direkt ansprechen und fragen, wo sie Merch produzieren lassen. Spätestens wenn der Fast-Fashion-Merch liegen bleibt, müssen Artists aktiv werden. Aber so lange sollten Acts nicht warten, sondern das Thema proaktiv angehen. Wer eine Stimme hat, sollte diese nutzen, um sich für die Anliegen jener Menschen einzusetzen, die bei uns sonst kein Gehör finden.
Was uns wichtig ist: Fairtrade ist kein Charity-Event, wir schaffen die Bedingungen dafür, dass Kleinbauernfamilien und Beschäftigte im globalen Süden ihr Leben selbstbestimmt gestalten können, dass ihre Rechte gewahrt werden und ihre Anliegen bei uns im globalen Norden Gehör finden. Fairtrade ist nicht nur das bekannteste Sozialsiegel weltweit, sondern eine globale Bewegung. Wir verbinden Konsumentinnen und Konsumenten, Unternehmen und Produzentenorganisationen, um den Welthandel gerechter zu machen.
Fairer Merch mit Alli Neumann

Stell dir vor, dein Lieblings-Festival kündigt nur noch Acts mit fairem Merch an. Welche Artists stehen da ganz oben auf dem Plakat – und warum?
Die Ärzte haben sich bei ihren Konzerten als Vorreiter in puncto Nachhaltigkeit positioniert. Sie setzen auf vegetarisches und veganes Catering, Ökostrom, Trockentoiletten – und natürlich fairer Merch, sogar nach Fairtrade-Textilstandard zertifiziert. Insofern wären sie vermutlich der Headliner.
Alli Neumann dürfte natürlich auch nicht fehlen, immerhin haben wir mit ihr anlässlich der diesjährigen Fashion Revolution Week ein limitiertes Fairtrade-Fanshirt herausgebracht, das wir am 26. April um 20:00 auf der c/o pop verteilt haben. Dort sprach Alli mit der Klimaaktivistin Louisa Schneider über die Benefits von fairem Merch.
Es gibt aber auch einige Acts und Bands, die schon ganz selbstverständlich auf fairen Merch setzen, International Music beispielsweise, die könnten es also auch ins Lineup schaffen.
Danke für das Gespräch, liebe Lisa.